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Experten-Interview zum PFAS-Verbot

· 5 Min Lesezeit

Frank Weber der Geschäftsführer von Teadit International Produktions GmbH und Raymond Sticker der Leiter der Kompetenzgruppe Dichtungstechnik der Mühlberg GmbH äußern sich zum Thema. 

Im Rahmen des Technikforums 2023 bei Mühlberger plädierten Sie dafür, im Zeitraum der öffentlichen Konsultation bis zum 22. September 2023 an der Kommentierung des PFAS-Dossiers teilzunehmen und den Dialog mit den zuständigen Vertretern und Vertreterinnen der Politik zu suchen, um zumindest Fluorpolymere für Anwendungen in den Bereichen Medizin, Verkehr, Industrie oder Halbleiter aus dem PFAS-Restriktionsverfahren herauszunehmen. Ist das gelungen?

Frank Weber: Zumindest ist es gelungen, die Europäische Chemikalienagentur ECHA mit mehr als 5.600 Eingaben zu beeindrucken. Diese lassen sich auch von denen, die Europa „entgiften“ wollen, nicht ignorieren. Hinzu kommt, dass sich die deutsche Bundesregierung laut Presseinfo vom 27. September klar gegen ein Totalverbot ausgesprochen hat. Ich denke, dass ein Totalverbot damit wohl vom Tisch ist.

Sehen Sie denn keine Gründe für ein Verbot?

Frank Weber: Argumente ja, aber keine Gründe für ein totales Verbot der ganzen Stoffklasse. Natürlich stellt die Verschmutzung durch die meisten PFAS ein ernstzunehmendes Problem für Mensch und Umwelt dar, und das möchte ich auch nicht relativieren. Aber wir müssen hier über Fakten reden, und ein Fakt ist, dass Fluorpolymere, welche aufgrund der PFAS-Definition auch von dem geplanten Restriktionsverfahren betroffen sind, sich auf den meisten Gebieten nicht substituieren lassen.

Raymond Sticker:  Man muss durchaus einräumen, dass PFAS sich in bestimmten Bereichen wie bspw. Feuerlöschschäumen und Beschichtungen umwelt- und gesundheitsschädlich auswirken und sich als belastend für das Grundwasser herausgestellt haben. Das sind auf jeden Fall Gründe zu reagieren.

Wie geht es mit dem Verbotsverfahren jetzt weiter?

Frank Weber: Auf jeden Fall nicht schnell. Ein Verbot muss ja erst einmal in ein Gesetz gegossen werden, und das muss Mehrheiten finden. Zunächst muss die ECHA eine Empfehlung aussprechen und eine Vorschlagsliste erstellen, die festlegt, was künftig untersagt und was erlaubt sein soll. Vermutlich entscheiden die EU-Regierungen dann Ende 2025, ob und wie es mit den „Ewigkeits-Chemikalien“ weitergehen kann. Ich würde mir wünschen, sie entscheiden lieber früher als später. Die Wirtschaft braucht Klarheit. Auch darüber, ob sie besser abwandert.

Was wäre Ihre Prognose? Haben PFAS noch eine Zukunft?

Frank Weber:  Nachdem auch EU-Kommissar Thierry Breton in seiner Antwort auf eine Anfrage mehrerer Europaabgeordneter eingeräumt hat, dass PFAS für kritische Anwendungen – beispielsweise in der Medizin oder der Energiewirtschaft – benötigt werden und sich derzeit nicht ersetzen lassen, gehe ich davon aus, dass die Kommission eine Reihe von Ausnahmen von der vorgesehenen Beschränkung für kritische Anwendungen von PFAS zulassen wird. Wo keine Alternativen verfügbar sind, liegen die gesellschaftlichen Kosten einer Beschränkung womöglich höher als die Vorteile. Das heißt im Ergebnis: Wo es einfach nicht ohne PFAS geht, müssen PFAS erlaubt bleiben. Zumal zumindest Fluorpolymere sicher sind, nämlich nicht mobil, nicht bioakkumulierbar und nicht toxisch. Insofern rechne ich eher mit 100 oder 1.000 als mit 10.000 Verboten.

Wie reagiert der Markt, wie reagieren Ihre Kunden auf ein drohendes PFAS-Verbot?

Raymond Sticker: Die Verantwortlichen auf Betreiberseite, die in der Planung und Normung tätig sind, sind – nicht zuletzt durch ihre Verbandsarbeit – im Allgemeinen sehr gut informiert. Und sie sind natürlich besorgt über diese Entwicklung, da Substitute nur sehr marginal eingesetzt werden könnten. Wir teilen diese Sorge und suchen den Dialog mit unseren Kunden. PFAS werden daher ein zentraler Themenschwerpunkt auf unserem Technikforum im März 2024 am Standort in Mainz-Kastel sein.

Wo konkret werden PFAS in den für uns relevanten Bereichen eingesetzt?

Frank Weber: Vor allem in Dichtungen, wie sie in der chemischen und pharmazeutischen Industrie eingesetzt werden, um den hohen Prozessanforderungen (Reinheit der Produkte, Reinigungsverfahren in den Anlagen) gerecht zu werden. Aber auch in Schläuchen, technischen Textilien für industrielle Anwendungen oder in öl-, schmutz- und wasserabweisenden PSA-Bekleidungen. Ein extrem wichtiger Einsatz von PTFE-Dichtungen sind zum Beispiel Dichtungen für AEL- oder PEM-Elektrolyseure, welche wiederum grünen Wasserstoff erzeugen. Aus meiner Sicht ist ein Erreichen des European Green Deal ohne Fluorpolymere nicht machbar.

Wenn es irgendwann doch noch zu einem Totalverbot von PFAS kommen sollte, wäre es realistisch, PFAS ganz zu substituieren? Arbeiten Forschung und Entwicklung in Ihrem Unternehmen schon an Alternativen?

Frank Weber: Die chemisch nun mal stärkste Verbindung ist die zwischen Fluor und Kohlenstoff. Es kann keine Alternative hierfür geben, das liegt in der Natur der Sache, womit wir wieder beim Wunschdenken wären. Aus meiner Sicht können Fluorpolymere nicht ersetzt werden. Sollten sie dennoch verboten werden, so wird die Industrie in die frühen 50er-Jahre zurückkatapultiert. Ich weiß, dass einige Marktbegleiter mit PFAS-freien Alternativen werben. Diese sind prozesstechnisch aber nur auf einem schmalen Grat verwendbar. Außerdem sind die Auswirkungen auf die Supply Chain bei einem totalen PFAS-Verbot gar nicht vorhersehbar, sodass Forschung und Entwicklung wie auch die gesamte Industrie vor einer nicht zu bewältigenden Aufgabe stehen, da in alle Richtungen nur noch Unsicherheit vorherrscht und keiner weiß, welcher Rohstoff oder welches Zwischenprodukt morgen eventuell nicht mehr zur Verfügung steht. Ich kann aus meiner Sicht zum jetzigen Zeitpunkt keine ideologiebasierte Forschung befürworten.

Haben Sie für Ihre Kunden einen Plan B? Könnten Sie PFAShaltige Produkte substituieren?

Raymond Sticker: Wir sind im Austausch und in engem Kontakt mit unseren Herstellern und beobachten die Entwicklungen am Markt. Aufgrund der hervorragenden Medienbeständigkeit werden Fluorkunststoffe wie zum Beispiel PTFE und PFA sowie Fluor-Elastomere wie FKM oder Kalrez natürlich nur schwer zu substituieren sein. Diese Werkstoffe sind beispielsweise in der chemischen Industrie aus heutiger Sicht unverzichtbar und nur bei umfänglicher Betrachtung des einzelnen Anwendungsfalles in bestimmten Fällen ersetzbar. Für die Masse der Einsätze wird es nach heutigem Stand keine Alternativen geben. Aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt, und so bleibt auch hier die Hoffnung, dass – wie seinerzeit beim Asbestverbot – die Industrie Alternativen entwickeln bzw. die Herstellung von Fluorkunststoffen und Fluor-Elastomeren so weit optimieren kann, dass keine PFAS entstehen. Wir wollen diesen Prozess jedenfalls begleiten und unterstützen.

Bis Ende 2025 will die 3M-Tochter Dyneon die Produktion von PFAS einstellen. Wirkt sich das auf die Verfügbarkeit in Deutschland aus? Rechnen Sie mit einem Domino-Effekt?

Raymond Sticker:  Mit dem Wegfall von Dyneon fehlt ein führender Rohstoffproduzent in Europa. Wie dies allein unter dem Gesichtspunkt der Produktionskapazität ausgeglichen werden kann, ist bislang nicht zu beurteilen. Hier müssen die Qualitäten der Importe aus Drittländern (Indien, China) eingehend geprüft und bewertet werden. Eine positive Beurteilung der Qualität dieser Hersteller ist die Grundlage, um fehlende Produktionskapazitäten infolge der Dyneon-Schließung auszugleichen.

Wir danken Ihnen für das Gespräch!

Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (BPA), Pressemitteilung 189

Mittwoch, 27. September 2023. Die Bundesregierung setzt sich dafür ein, dass der Maßstab der EU für REACH-Stoffbeschränkungen risikobasiert bleibt. Pauschale, undifferenzierte Verbote ganzer Stoffklassen sind nach Ansicht der Bundesregierung nicht vom bestehenden europäischen Rechtsrahmen gedeckt und sind nach dem aktuellen Vorschlag der deutschen und weiterer Fachbehörden auch nicht vorgesehen. Ein Totalverbot von PFAS ist insofern nicht geplant und würde von der Bundesregierung auch nicht unterstützt. Dabei soll es nach Auffassung der Bundesregierung dauerhaft bleiben, insbesondere im Rahmen der Diskussionen um die europäische Chemikalienstrategie und REACH. Um negative Auswirkungen von Stoffen auf Umwelt und Gesundheit und zunehmende Abhängigkeiten von außereuropäischen Anbietern so weit wie möglich zu vermeiden sowie zugleich die Transformationsfähigkeit der Industrie weiter zu verbessern, muss auch die Forschung nach Alternativen entschieden vorangetrieben werden.

PFAS sind wasser-, fett- und schmutzabweisend sowie chemisch und thermisch sehr stabil. Man spricht deshalb auch von sogenannten „Ewigkeits-Chemikalien“. Aufgrund ihrer Eigenschaften werden sie in zahlreichen Verbraucherprodukten wie Kosmetika, Kochgeschirr, Papierbeschichtungen, Textilien oder Ski-Wachsen eingesetzt. Außerdem werden PFAS zur Oberflächenbehandlung von Metallen und Kunststoffen, in Pflanzenschutzmitteln oder Feuerlöschmitteln verwendet. (Quelle: bmuv)